Polaritäten Integration – was ist das?

Das Thema des Umgangs mit Polaritäten bzw. Gegensatz-Paaren in der äußeren und inneren Welt ist sicherlich eines der Ältesten der Menschheit und zentraler Bestandteil aller Religionen und Philosophien. Wie außergewöhnlich groß seine Bedeutung ist, kann man der zentralen Stellung der Geschichte von Adam und Eva in der biblischen Geschichte entnehmen, die schließlich erklären soll, warum die Menschheit aus dem paradiesischen Zustand der Einheits- und Geborgenheits-Erfahrung in die leidvolle Erfahrung der dualistischen Weltsicht gefallen ist: das Essen des Apfels vom Baum der Erkenntnis von „Gut und Böse“, der laut Bibel problematischsten Polarität überhaupt. Da wir uns alle nach dem paradiesischen Zustand vor dem Eintritt in die Welt der Polaritäten zurück sehnen, wurden dann auch Ideen entworfen, wie diese „Rückkehr ins Paradies“ möglich sein könnte.

 

Dabei gab es vereinfacht gesagt stets 2 große Traditionen:

 

1. diejenige, die auf den Unterschied zwischen beiden Polen fokussiert, wobei der positiv bewertete Pol angestrebt und der negativ Bewertete bekämpft wird. In diesem Fall ringt man vehement nach allem was Glück verheißt, und hofft zugleich, alles Schmerzhafte, Schlechte und Unerwünschte von sich fern halten zu können. Man will dann also je nach eigenem Wertsystem Tugend ohne Untugend, Erfolg ohne Misserfolg, Glück ohne Unglück, Freud ohne Leid, wobei man immer darauf hofft, durch möglichst viel Positives alles Negative los werden zu können.

 

2. die andere Sichtweise geht davon aus, dass die beiden Pole jeglichen Gegensatzpaares nur Aspekte einer übergeordneten Einheit darstellen und man den einen Pol nicht ohne den anderen haben kann (so wie es die eine Seite deiner Medaille niemals ohne die andere geben kann). In diesem Fall strebt man um die Anerkennung und Akzeptanz beider Pole, um Gleichmut und die Vermeidung von Extremen, sowie um die Integration der Gegensätze.

 

Unter den Vertretern der 2. Gruppe befinden sich viele östliche Philosophien und Religionen, sowie verschiedene magische und mystische Schulen aus aller Welt. Sie alle haben dabei mehr oder weniger offen kommunizierte Strategien und Techniken des Umgangs mit Gegensatzpaaren und einige verfügen auch über sehr effiziente Integrations-Methoden.

 

Der klassische Weg der Polaritäten-Integration bestand wohl darin, solange abwechselnd über die beiden Pole einer gewählten Polarität zu meditieren, bis man eine gnostische Erfahrung bzw. eine direkte Erfahrung der Wahrheit über diese Pole erlangt und dabei erkennt, dass beide fundamental eins sind. Darüber hinaus gab und gibt es aber auch Methoden, die direkt auf die Integration von Polaritäten angewendet werden können und auch weniger geübten Meditierenden zur Integrations-Erfahrung verhelfen können. Dabei werden die beiden Pole des gewählten Gegensatzpaars am Ende des Prozesses ebenfalls als Eins erlebt werden.

 

Wähle ich z.B. „Verbundenheit versus Einsamkeit“ als Polarität, die ich integrieren möchte, dann habe ich zu Beginn des Prozesses völlig unterschiedliche innere Reaktionen im Hinblick auf die beiden Themen. Vielleicht sehe ich mich beim Gedanken an Verbundenheit vor meinem inneren Auge im Kreise von Freunden, fühle mich glücklich und strahle übers ganze Gesicht, während ich mir beim Gedanken an Einsamkeit vorstelle, wie ich in einem dunklen Raum völlig isoliert von der Außenwelt vor mich hin darbe, während ich mich schlecht fühle und eine seltsame Art von Übelkeitsgefühl spüre. Am Ende des Integrations-Prozesses erlebe ich dann für einen Moment die Einheit von Verbundenheit und Einsamkeit und meine innere Reaktion auf beide ist dem entsprechend identisch.

 

Die Folge ist, dass man durch diese Art der Integrationsarbeit immer weniger Unterschiede zwischen den beiden Polen einer Polarität erlebt, so dass man nicht mehr krampfhaft nach dem einen Pol strebt und den anderen auch nicht mehr krampfhaft fürchtet. Im obigen Beispiel würde eine Person nach der Integration von Verbundenheit und Einsamkeit die Verbundenheit noch immer bevorzugen, doch wäre das ganze Thema nicht mehr so wichtig und der Gedanke an Einsamkeit sowie die Erfahrung von Einsamkeit würden keine Angst mehr auslösen.

 

Die heilsame Wirkung der Polaritäten-Integration wurde dabei bereits vor vielen Jahrhunderten beschrieben. So empfahl z.B. der 6. Patriarch des Zen seinen Schülern im 7. Jahrhundert, eine Liste mit 36 fundamentalen Polaritäten zu integrieren, wodurch er ihnen eine völlige Ausgeglichenheit im Hinblick auf Denken, Fühlen, Handeln und Reden versprach.

 

Polaritäten-Integration reduziert Gefühle der inneren Zerrissenheit, Ängste, Zwänge und Einseitigkeiten jeglicher Art und führt bei regelmäßiger Anwendung zur Harmonisierung der Persönlichkeit, mehr Gelassenheit und zu weit mehr innerem Frieden, als man ihn auf der Jagd nach positiven Polen jemals finden könnte.Darüber erfährt man im Moment der Integration für eine kurze Weile die “Leere jenseits der Polaritäten”, die ja schließlich auch durch Meditation angestrebt wird.

 

Dabei gibt es heute eine ganze Reihe mehr oder weniger tief und anhaltend wirkender Polaritäten-Integrations-Methoden, die pro Einzelanwendung je nachdem nur zwischen 15 bis 90 Minuten dauern. Einige davon sind der „Visual Squash“ von Richard Bandler (gut zur Auflösung innerer Dilemmata), die „Sedona Methode 4“ von Hale Dwoskins, „Ivana Ende der Worte“ von Ivana Tomanovic, sowie „Deep PEAT“, „DP-4“ und der „Universal Prozess“ von Zivorad Slavinski.

 

Jede dieser Methoden hat dabei ihre speziellen Vorzüge und Einsatzgebiete. Und auch wenn eine einzelne Anwendung wenig ändert, können sie dennoch von unschätzbarem Wert sein, wenn sie in die tägliche spirituelle Praxis mit einbezogen werden.