Glücklich werden durch die Jagd nach Genüssen?

“Ich suchte nach permanentem Genuss und erntete im Gegenzug maximales Leid.”

(David Crosby)

 

Einer der großen Irrtümer auf der Suche nach dauerhaftem Glück besteht darin, Glück mit sinnlichem Genuss gleichzusetzen.

Selbst wenn Genüsse das Salz in der Suppe unseres Alltags darstellen und uns so manche herrlichen Glückserlebnisse bescheren, birgt die Überbewertung des Genusses nämlich einige Probleme.

Wir werden abhängig von äußeren Glücksquellen

Das erste Problem besteht darin, dass wir für unsere Sinnesgenüsse Freudenquellen benötigen, die unsere Sinne stimulieren und erfreuen. So wird unsere Jagd nach Sinnesfreuden automatisch zu einer Jagd nach Freudenquellen. Da sich unsere Freudenquellen jedoch in der Regel außerhalb unserer selbst befinden,  geben wir die Kontrolle über unser Glück an äußere Quellen ab. Wir glauben dann, dass wir glücklicher sein werden, wenn wir Zugang zu vielen Lustobjekten haben, und weniger glücklich, wenn uns nur wenige Lustobjekte zur Verfügung stehen.

Dies ist jedoch nicht der Fall, wie die Lebensgeschichten vieler Stars aus der Musik- und Filmbranche beweisen.

Was jedoch sicher passiert, ist, dass wir durch diese Sicht der Dinge von der Verfügbarkeit externer Freudenquellen abhängig werden. Dies öffnet Tür und Tor für Gier, Habgier, Neid und der Angst davor, vom Genuss bestimmter Freudenquellen ausgeschlossen zu sein. All diese Gefühle nähren jedoch unser Unglücklichsein.

Wir müssen gegen Gewöhnungs- und Sättigungseffekte ankämpfen

Wenn wir den Fehler begehen zu glauben, dass ein Mehr an Genuss gleichzeitig mehr Glück bedeutet, werden wir natürlich auch versuchen, unseren Genuss zu verstärken, indem wir möglichst intensive Lustquellen nutzen und das so häufig wie möglich.

Wie wir jedoch alle wissen, lässt sich der Genuss einer Sache nicht unendlich steigern, da es das Phänomen der Sättigung gibt. So schmecken uns 10 Kugeln Eis nicht 10 Mal so gut wie eine Kugel. Vielmehr wird uns irgendwann schlecht, so dass wir genau das Gegenteil von Genuss erreichen. Aber auch wenn wir dies berücksichtigen und versuchen, jeden Tag 3 mal nur je 1 Kugel unseres Lieblingseises zu essen, geht sich unsere Hoffnung auf mehr Glück deswegen langfristig noch lange nicht aus. Vielmehr macht uns in diesem Fall das Phänomen der Gewöhnung einen Strich durch die Rechnung und unsere Lieblingssorte Eis schmeckt uns schon bald lange nicht mehr so gut wie beim ersten Mal. Unsere Lustquellen verlieren also mit der Dauer und Häufigkeit des Konsums ihren Reiz.

Wenn wir trotzdem an der Vorstellung festhalten, dass das Glück im Genuss zu finden sein muss, dann bleibt uns noch die Möglichkeit, ständig neue Lustquellen zu erschließen, bei denen sich der Kreislauf von anfänglicher Begeisterung und anschließender Sättigung und Gewöhnung wiederholt.

Als Ausweg aus diesem Dilemma versuchen dann viele, die Reizstärke ihrer Freudenquellen zu erhöhen. Die Vergnügungen werden in diesem Fall hemmungsloser, dekadenter und oft auch gefährlicher. Hier betreten wir das Feld von Risikosportarten, Mutproben, Glückspiel, Alkohol- und Drogenkonsum, Perversionen etc., denen allen gemeinsam ist, dass es dabei um die Jagd nach einem besonderen Kick geht.

Auf der Jagd nach Highlights verlieren wir die Freude an der Gegenwart und geraten in die Suchtspirale

Diese Kicks sind aber punktuelle Höhepunkte oder Highlights, die wir nicht dauerhaft erleben können. Da unser Nervensystem nach dem Prinzip funktioniert, Erfahrungen mit bereits vorhanden Daten zu vergleichen, können wir Dinge nur im Kontrast zu anderen erleben. Dauerhafte Highlights hören somit schlichtweg auf, Highlights für uns zu sein. Sie werden wieder Normalität und somit zunehmend uninteressant, was an den Phänomenen der Sättigung und Gewöhnung liegt.

Was uns beim ersten Mal einen außergewöhnlichen Kick beschert, verliert also schon bald an Reiz. So wundert es nicht, dass viele Drogenkonsumenten sagen, dass sie eigentlich jedesmal, wenn sie ihre Droge konsumieren, versuchen, den Kick vom ersten mal wiederzuerleben. Da dies in der Regel nicht gelingt, versuchen sie dann, die Reizstärken (bei Drogen also die Dosis) zu steigern. Damit gewöhnen sie sich jedoch sehr schnell an ungwöhnlich hohe Reizstärken, neben denen die Reizstärken der Alltagsgenüsse zunehmend verblassen. Die Folge ist, dass sie alltägliche Freuden und Genüsse immer weniger genießen können.

In diese Kerbe schlägt auch eine weitere unselige Dynamik. Die Jagd nach punktuellen Highlights entwertet nämlich automatisch die Zeitspannen,  die wir zwischen diesen Highlights durchleben. Der Grund dafür ist, dass wir das Glück in diesem Fall stets in der Zukunft erwarten, nämlich beim Erleben des nächsten Kicks. Die Dynamik lautet dabei: “Wenn ich X, Y  habe oder erlebe, werde ich glücklich sein”. Dieses X, Y kann das Treffen mit einem romantischen Partner sein, Sex, ein besonders leckeres Essen, Alkohol, eine andere Droge oder irgendein anderer Sinnengenuss.

Je stärker die Vorfreude auf den zukünftigen Genuss dabei ist, desto weniger attraktiv erscheint uns dabei im Kontrast die Zeit bis zum ersehnten Ereignis. Wir werden also zum Highlight-Jäger, der sich von Kick zu Kick hangelt. Leider ist die Zeit zwischen diesen Kicks meist um ein vielfaches länger als die Kicks selbst. Das Alltägliche wird somit zu etwas, das wir hinter uns bringen müssen, bis der nächste Kick da ist. Die Suchtdynamik nimmt ihren Lauf.

Wir bremsen unsere Persönlichkeitsentwicklung und schaden unseren Beziehungen

Da es es bei der Jagd nach Genüsseen stets um das eigene Vergnügen geht, aktivieren wir im Falle einer Überbewertung von Sinnesgenüssen unsere egozentrischen, narzisstischen, ich-orientierten, impulsiven und hedonistischen Persönlichkeitsanteile. Diese Persönlichkeitsanteile entsprechen der egozentrischen Entwicklungsstufe, die für Kinder und Pubertierende typisch und normal ist, im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung jedoch von höheren Entwicklungsstufen abgelöst werden sollte.

Beim Egozentrismus stehen nämlich Emotionen im Vordergrund, die um die eigene Person sowie die eigene Bedürfnis- und Lustbefriedigung kreisen. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass sich unter jenen, die das Glück mit sinnlichem Genuss gleichsetzen, viele Menschen befinden, die in Wirklichkeit ausgeprägte Egozentriker sind.

Als Egozentriker wollen sie jedoch schlicht und ergreifend deshalb nach dem Lustprinzip leben, weil es ihnen schwer fällt, auf irgendetwas zu verzichten oder sich einzuschränken.  Sie streben nach möglichst unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung und werden schnell wütend, wenn sie nicht bekommen was sie wollen bzw. wenn die Dinge nicht so laufen wie sie wollen.

Der Preis, den sie zahlen, ist also sehr hoch. Menschen, die auf ihren eigenen Genuss fokussiert sind, haben Probleme damit, auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse länger warten zu müssen. Sie werden in solchen Fällen also unleidlich und fühlen sich schlecht. Außerdem neigen sie dazu, andere für ihre Zwecke zu benutzen,  was zu vielen zwischenmenschlichen Konflikten und Beziehungsproblemen führt.

Unterstützende, nährende und glückliche Beziehungen sind für unser Glück auf Dauer jedoch weitaus wichtiger als punktuelle Sinnesgenüsse. Das gleiche gilt für die Fähigkeiten, sich mäßigen, auf Dinge verzichten und Belohnungen aufschieben zu können. Auch sie tragen weit mehr zu unserem dauerhaften Glück bei als der Konsum von Sinnesreizen.

 

Aus all diesen Gründen ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Jagd nach ständigem Genuss im Gegenzug maximales Leid mit sich bringt. Da wir in einer dualen Welt leben, in der alles in Gegensätzen existiert, ist dies unvermeidbar.

Aber noch einmal, um kein Missverständnis zu erzeugen. Genüsse sind das Salz in der Suppe des Lebens und stehen nicht im Widerspruch zu wahrem Glück. Sie sind wie die Blumen am Wegesrand, die wir durchaus wahrnehmen und genießen dürfen. Um dabei den größtmöglichen Genuss ohne Reue zu erleben, ist es jedoch sinnvoll, einige Spielregeln zu beherzigen:

 

1. Konsumiere einzelne Genussquellen nicht zu häufig in hoher Dosis (zu lange, zu intensiv, zu viel)!

 

2. Wechsle regelmäßig zwischen verschiedenen Genussquellen ab!

 

3. Übe Dich in Belohnungsaufschub, indem Du den Konsum von Genussquellen immer wieder einmal zeitlich aufzuschiebst (iss die Schokolade z.B. erst abends statt sofort, wenn Du unter Tags Lust darauf verspürst)!

 

4. Verzichte phasenweise auf eine Deiner Lieblingsgenussquellen!

 

5. Lass Deine Finger völlig von Genussquellen, die für Dich ein zu hohes Suchtpotenzial haben!

 

6. Achte besonders auf Sinnengenüsse, die aus körperlichen Aktivitäten resultieren oder mit anderen gemeinsam erlebt werden (z.B. Sport, gemeinsame Erlebnisse in der Natur, etc.)!

 

7. Hüte Dich bei alledem davor, das Glück mit Sinnesgenuss gleich zu setzen und Dein Leben mit der ausschließlichen Jagd nach Sinnesgenüssen zu verschwenden!