Langzeitbeziehungen – ein lohnendes Drama in mehreren Akten

Viele Menschen haben unrealistische Erwartungen an eine dauerhafte Liebesbeziehung und wissen nur sehr wenig über die Dynamiken, die beim Eingehen einer solchen Beziehung auf sie zukommen. Dies führt zu unnötigen Enttäuschungen, Frustrationen und „Psychospielen“.

In diesem Artikel möchte ich ein bisschen Licht auf den typischen Verlauf einer dauerhaften Liebesbeziehung werfen, sowie auf einige Probleme, mit denen man dabei rechnen muss.

1. Die Faszinationsphase: Im Idealfall beginnt eine Liebesbeziehung für beide Partner mit einer Phase des gegenseitigen Begehrens und der Verliebtheit. Diese Phase des „Honeymoons“ ist besonders beglückend, da wir während ihr in einem Meer an Glückshormonen baden und das Belohnungszentrum in unserem Gehirn aktiviert wird. Außerdem werden jene Bereiche des Gehirns ausgeschaltet, die mit negativen Gefühlen und dem Urteilsvermögen zusammenhängen. Dies hat zur Folge, dass wir im Gegenüber nur das sehen, was wir sehen wollen.  Wir sind vom anderen fasziniert, er scheint die Erfüllung all unserer Träume zu sein und wir fühlen uns energiegeladen, erregt und glücklich. Unsere Wahrnehmung ist völlig auf das geliebte Gegenüber konzentriert und wir bestätigen einander auf jede erdenkliche Weise, beruhigen einander und versuchen, einander gefällig zu sein.

Mit dem Kennenlernen tauchen schließlich erste Diskrepanzen auf, die das anfängliche Bild trüben. Um die störenden Irritationen zu unterdrücken, passen wir uns dem Partner stärker an, rücken Gemeinsamkeiten in den Vordergrund und überspielen Differenzen. Die Anpassung stört aber zunehmend unser  Selbstbild. Wir zeigen einander immer wieder auf eine Art, die uns nicht wirklich entspricht, nur um Harmonie und Stabilität in der Beziehung zu erreichen.

2. Die Umerziehungsphase: Nach einer gewissen Zeit sind es beide leid, sich zu verstellen. Die Rücksichtnahme und Kompromissbereitschaft kommt an erste Grenzen. Wir  beginnen mit dem Versuch, den Partner nach unseren Wünschen umzuerziehen und so  kommt es zu Kontroversen. Mindestens einer der Partner ist dann bald frustriert darüber, nicht mehr die Wertschätzung, das Entgegenkommen und die beruhigende Zuwendung zu bekommen, die er sich wünscht. Meist tauchen auch Hilflosigkeitsgefühle auf, weil wir den Eindruck gewinnen, auf die Beschwerden des Partners nicht so eingehen zu können, dass dieser damit wirklich zufrieden wäre.

3. Die Konfliktphase: Irgendwann erreicht der stärkere Partner die Grenze seiner Hinnahmefähigkeit. Ab diesem Punkt kann er seinem Gegenüber nicht mehr weiter  entgegenkommen, ihn bestätigen und beruhigend auf ihn einwirken, ohne dabei die eigene Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen und die eigene Integrität zu verletzen. Er weigert sich nun, sich noch weiter anzupassen. Dieser Punkt wird umso schneller erreicht, je mehr ungelöste persönliche Probleme er mit sich herumträgt. Der Schwächere gibt sich dann oft noch mehr Mühe, den Partner zufrieden zu stellen, aber die Situation verschlimmert sich, je mehr Mühe er sich gibt. Durch das inzwischen angeschlagene gespiegelte Selbstempfinden kommt es zu Verweigerungen, Starrsinn und Trotzreaktionen.

4. Die Pattsituation: An diesem Punkt sind beide einander entgegengekommen, soweit sie konnten oder wollten und hören nun damit auf. Es kommt zum sprichwörtlichen Knall, der mehr oder weniger dramatisch ausfallen kann. Die Partner haben nun keine Möglichkeit mehr, die gemeinsamen Probleme zu ignorieren, und alle bisherigen Lösungsversuche sind gescheitert. An diesem Punkt kommt es dann häufig zur Trennung.

5. Chronische Konfliktphase oder konstruktives Bündnis: Wenn sich die Partner jedoch gegen eine Trennung entscheiden und stattdessen zusammenbleiben, haben sie verschiedene Möglichkeiten, ihren gemeinsamen weiteren Weg zu gestalten. Die gängigsten Möglichkeiten sind:

a) Einer der Partner unterwirft sich dem anderen

b) Einer der Partner dominiert den anderen

c) Beide verstricken sich in einen Machtkampf um die dominante Position

d) Einer der Partner zieht sich physisch oder emotional vom anderen zurück

e) Beide Partner vollziehen wichtige individuelle Entwicklungsschritte, lernen sich selbst Halt zu geben und entscheiden sich für eine konstruktive Partnerschaft.

Hier trennt sich nun die Spreu vom Weizen. Wer einen der ersten vier Wege wählt, landet in einer chronisch unbefriedigenden Beziehungsform, die weit unter dem zurückbleibt, was sich die Partner einst zu Beginn ihrer Beziehung erhofft hatten.

Die Entscheidung für eine konstruktive weitere Partnerschaft dagegen trägt zumindest das Potenzial in sich, den Traum einer glücklichen Partnerschaft Realität werden zu lassen.

Damit dieser Traum aber wahr werden kann, müssen beide Partner einige verbindliche Entscheidungen treffen. Die erste ist eine Entscheidung für eine grundsätzliche Kooperation und Freundschaft, in der sich beide selbst und einander dazu anspornen, sich um der Beziehung Willen größtmögliche Mühe zu geben. Hierfür muss klar sein, dass beide zusammen auf gemeinsame Ziele und positive Resultate hinarbeiten wollen, auch wenn das manchmal schwierig, beängstigend oder mit Schmerzen verbunden sein mag. Die Partner müssen also die Bereitschaft bekunden, sich auf das zu konzentrieren, was getan werden muss.

Zudem bedarf es laut dem US-amerikanischen Sexualtherapeuten David Schnarch noch folgender Selbstverpflichtungen:

  1. „Ich werde ehrlich sein, auch wenn es für mich persönlich von Nachteil ist oder zu Schwierigkeiten führen könnte.“
  2. „Ich verfälsche keine Informationen oder halte Informationen zurück, um meinen Partner zu manipulieren.“
  3. „Ich konfrontiere mich freiwillig mit mir selbst und meinen Problemen und lasse zu, dass der Partner mich adäquat spiegelt und versteht.“
  4. „Ich handle so integer wie möglich.“

Aus entwicklungspsychologischer Sicht liegt der Wert einer auf Dauer angelegten Liebesbeziehung somit nicht darin, dass wir einander glücklich machen. Vielmehr bietet sie uns eine ausgezeichnete Möglichkeit für Persönlichkeitsentwicklung und in der Folge durchaus für ein Erleben von tiefer Verbundenheit, Intimität, Zugehörigkeit und Wachstum.

Es ist gut zu wissen, dass eine auf Dauer angelegte Paarbeziehung irgendwann unweigerlich unsere niedrigsten, schwächsten und dunkelsten Anteile ans Licht bringt, so dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen müssen. Dies kann allerdings sehr wertvoll sein, da wir uns in der Regel erst dann entwickeln und etwas ändern, wenn es richtig wehtut.

Der Wendepunkt tritt ein, wenn wir damit aufhören, unseren Ängsten und Unsicherheiten nachzugeben und wir stattdessen tun, was uns unsere positivsten inneren  Bestrebungen nahelegen.

Hierbei betreten wir das Feld der Integrität bzw. des Verlangens danach, auch in schwierigen Situationen gemäß den eigenen ethischen Werten zu handeln. Integer zu sein bedeutet, dass wir uns selbst Grenzen und Verpflichtungen auferlegen, die definieren, wer wir sind und die wir auch dann nicht überschreiten, wenn es hart auf hart kommt. Wir tun dies in dem Wissen, dass wir uns entehrt, beschämt und herabgewürdigt fühlen, wenn wir unsere Integrität verletzen.

Natürlich ist der Versuch, den Kriterien für eine konstruktive Partnerschaft gerecht zu werden, alles andere als einfach. Aber es lohnt sich, wenn wir eine lange und liebevolle Beziehung führen wollen, in der beide Partner aufblühen und sich individuell weiter entwickeln können.

 

Quelle: Schnarch, D. (2011). “Intimität und Verlangen”. Klett-Cotta, Stuttgart.