Irrwege bei der Suche nach einem erfüllten Leben

In diesem Artikel geht es um vier weit verbreitete Irrwege auf dem Weg zu einem erfüllteren Leben, die Mathias Binswanger als „Tretmühlen des Glücks“  beschrieben hat.

Die Bezeichnung „Tretmühle“ steht dabei für anstrengende und sich immer wiederholende Abläufe und Handlungen, die einen nicht wirklich weiter bringen. Als Synonym kann man auch die Metapher des Hamsterrades verwenden, in dem man läuft und läuft und sich dabei nie vom Fleck weg bewegt.

Im Zusammenhang mit dem menschlichen Streben nach Glück geht es bei den Tretmühlen um Anstrengungen, die wir in der Hoffnung auf ein besseres Leben unternehmen, die aber nicht zum erwünschten Ziel führen. Binswanger nennt diesbezüglich die Status-Tretmühle, die Anspruchs-Tretmühle, die Multioptions-Tretmühle und die Zeitspar-Tretmühle.

Die Status-Tretmühle

Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass wir als Menschen mit einer inneren Stimme auf die Welt kommen, die uns antreibt, so weit wie möglich auf der Hierarchieleiter nach oben zu klettern.

Wir neigen somit dazu, unsere Einkommen und unseren Status mit dem der Menschen um uns herum zu vergleichen. Wenn wir dabei besser abschneiden als die anderen, steigt unser Selbstvertrauen und unser Selbstwertgefühl. Schneiden wir dabei jedoch schlechter ab, fühlen wir uns nur allzu leicht als Verlierer und unsere Lebenszufriedenheit sinkt.

Dies bestätigen auch Befunde aus Studien, die zeigen, dass unser absolutes Einkommen weniger wichtig für unser Glück ist als unser relatives Einkommen. Wir wollen also nicht nur gut verdienen, sondern vor allem mehr verdienen als  die Menschen um uns herum. In einem Umfeld, in dem alle 20000 Euro pro Jahr verdienen fühlen wir uns mit einem Einkommen von 50000 Euro also wahrscheinlich ziemlich gut, während wir uns bei gleichem Einkommen durchaus mies fühlen können, wenn alle um uns herum 100000 Euro pro Jahr verdienen.

Was aber passiert, wenn sich alle Menschen abstrampeln, um besser dazustehen als ihre Nachbarn? Dann wertet der Erfolg jedes einzelnen den eigenen, mühsam erkämpften Erfolg wieder ab.

Nur weil die meisten von uns der irrigen Annahme anheimfallen, dass es notwendig ist, Karriere zu machen oder immer mehr Geld zu verdienen, um glücklich sein zu können, müssen alle immer schneller rennen, um ihre relative Position in der Gesellschaft zu halten, wenn alle dieses Ziel verfolgen.

Dies ist die Statustretmühle,  die dazu führt, dass alle mehr arbeiten, als sie eigentlich wollen und sich dadurch unnötigen Stress aufladen, der ihnen die Lebensfreude raubt.

Schön zusammengefasst sieht die Sachlage dann so aus: „Viele Menschen benutzen das Geld, das sie nicht haben, für den Einkauf von Dingen, die sie nicht brauchen, um damit Leuten zu imponieren, die sie nicht mögen.“

Die Anspruchs-Tretmühle

Die Anspruchstretmühle, die auch als „hedonistische Tretmühle“ bezeichnet wird, geht auf die paradox erscheinende Erkenntnis zurück, dass Menschen mit zunehmendem Einkommen und Luxus nicht automatisch glücklicher werden. Dies zeigen zahlreiche Untersuchungen, wie z.B. der Vergleich der Lebenszufriedenheit von Menschen um 1950 und Menschen heute. Während sich die Zahl der verfügbaren Luxusgüter und der Lebensstandard der Durchschnittsbürger in den letzten 70 Jahren dramatisch erhöht  haben, ist unsere Lebenszufriedenheit bei weitem nicht um den gleichen Faktor angestiegen. Im Gegenteil. Nicht selten zeigen aktuelle Studien, dass heutige Menschen weniger optimistisch in die Zukunft blicken als die Menschen im Jahr 1950 und auch häufiger unter Depressionen und Ängsten leiden als ihre Vorfahren.  Aber wie kann das sein, wo uns doch allen suggeriert wird, dass mehr Luxusgüter und mehr Wohlstand uns definitiv glücklich machen werden?

In Wahrheit halten die Glücksgefühle, die wir durch den Erwerb neuer Luxusgüter anfänglich erleben, stets nur kurz an und weichen dann dem Phänomen der Gewöhnung. So wurden Dinge wie ein Kühlschrank oder eine Waschmaschine, die 1950 noch als Luxus galten, schnell zum Standard und die Menschen betrachteten sie schon nach kurzer Zeit als selbstverständlich. Anfangs war es vielleicht noch ein Highlight, sich Eiscreme aus dem Gefrierfach holen zu können, doch schon bald verschwendete niemand mehr einen Gedanken an die Besonderheit dieser Möglichkeit.

Das Problem bei steigendem Luxus besteht somit schlichtweg darin, dass unsere Ansprüche parallel dazu gleichzeitig ansteigen.

Wer einem höheren Einkommen und teuren Luxusgütern hinterher rennt, setzt somit auf das falsche Pferd. Kein Wunder also, dass gerade Menschen mit einer sehr materialistischen Lebenseinstellung häufig weniger glücklich sind als Menschen, die weniger Wert auf materiellen Wohlstand legen. Zu hoher Ehrgeiz ist ein sicherer Weg, um sich unglücklicher zu machen.

Letztlich sind es die mit dem Wohlstand steigenden Ansprüche, die die Anspruchstretmühle antreiben. Aber es ist die Differenz zwischen Einkommen und Einkommensansprüchen, die das Glück ausmacht. Diese Differenz bleibt aber auch bei steigendem Einkommen und zunehmendem Wohlstand mehr oder weniger konstant.

Die Multioptions-Tretmühle

Die Multioptionstretmühle basiert auf der weit verbreiteten Illusion, dass unser Leben durch ein immer größeres Angebot an Gütern und Dienstleistungen und das Wegfallen von religiösen und kulturellen Einschränkungen immer besser wird.

In Wirklichkeit führt unser Streben nach mehr Wohlstand jedoch zu einer Überforderung durch zu viele Auswahlmöglichkeiten, die den ersehnten Zuwachs an Glück schlichtweg verhindern.

So fand die Forschung heraus, dass unsere Zufriedenheit mit der Zahl der Optionen zwar zunimmt, solange nur wenige davon vorhanden sind. Sie konnte aber auch zeigen, dass uns die Auswahl zwischen immer mehr Produkten und Angeboten wieder unglücklicher macht, sobald ein bestimmter Schwellenwert überschritten ist.

Zur Veranschaulichung dieses Problems stelle dir einfach vor, du gehst in ein Restaurant und bekommst dort eine Speisekarte ausgehändigt, in der du zwischen 500 leckeren Gerichten wählen kannst. Was würdest du dann tun? Wenn es dir so ergeht wie den meisten, dann würdest du, statt die Vielfalt zu genießen, unter der Qual der Wahl leiden und deshalb einfach auf die Art und Weise bestellen, wie du auch sonst bestellst. So würdest du vielleicht nach dem Preis gehen oder ein Gericht wählen, das du auch früher schon oft bestellt hast. Jedes einzelne Gericht gegeneinander abzuwägen und dann eine rationale Bestellentscheidung zu treffen, würde dich nämlich zu viel Zeit und Aufwand kosten. Du würdest ewig dafür brauchen und dann möglicherweise trotzdem Zweifel an deiner Wahl haben, weil du schließlich auf viele andere reizvolle Optionen verzichten musstest.

Es ist also kein Wunder, wenn wir lieber weniger Auswahlmöglichkeiten haben und z.B. aus einer überschaubaren Menge an Speisen auswählen anstatt aus hunderten.

Die Zeitspar-Tretmühle

Eine vierte Tretmühlenvariante basiert darauf, dass die Wirtschaft auf zunehmende Zeitknappheit reagiert, indem sie eine Vielzahlt zeitsparender Maßnahmen entwickelt, die dem täglichen Stress entgegenwirken sollen.

Leider hat sich aber herausgestellt, dass wir Tätigkeiten umso häufiger und intensiver ausführen, je zeitsparender sie ausgeführt werden können. Dadurch wird nicht nur die angestrebte Zeitersparnis verhindert, sondern wir fühlen uns sogar noch gestresster, als wir es vorher schon waren. Letztlich fehlen uns dann  sowohl die Zeit als auch die Energie, um diejenigen Dinge tun zu können, die uns die größte Lebensfreude bescheren würden.

Ein sehr anschauliches Beispiel für die Zeitspar-Tretmühle ist die Entwicklung der Mobilität seit dem 2. Weltkrieg. Während die meisten Menschen früher in Fußentfernung von ihrem Arbeitsplatz wohnten, wurde es ihnen durch die allgemeine Motorisierung möglich, weiter von ihrem Arbeitsplatz wegzuziehen und dann per Auto zur Arbeit zu pendeln. Während die Motorisierung sowie der Ausbau des Straßennetzes und der öffentlichen Verkehrsmittel eine Zeitersparnis bei den Arbeitswegen hätte bringen können, mussten nun immer mehr Menschen deutlich größere Strecken zu ihrem Arbeitsplatz zurücklegen. So kam es während der Stoßzeiten zu immer mehr Verkehrsstaus und überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln. Im Durchschnitt mussten viele also nicht weniger, sondern weitaus mehr Zeit für ihren Weg zum Arbeitsplatz aufwenden.

Da wir Menschen laut Statistik jedoch umso unzufriedener und gestresster sind, je mehr Zeit wir für das tägliche Pendeln zur Arbeit aufwenden müssen, ist die verbesserte Mobilität für viele mehr Fluch als Segen.

Was wir für unser Wohlbefinden nämlich stattdessen  bräuchten, wäre mehr frei verfügbare Zeit, so dass wir gemäß unserem eigenen optimalen inneren Rhythmus leben können.

 

Kommen wir nun zu der Frage, wie wir den eben beschriebenen Tretmühlen entkommen und damit unsere Chancen auf ein glückliches Leben erhöhen können.

Statt in die Status-Tretmühle einzusteigen, könnten wir damit aufhören, unnötig viel Geld für teure Statusgüter auszugeben.

Die Anspruchs-Tretmühle können wir vermeiden, indem wir weniger Geld für materielle Güter ausgeben, an denen wir nach kürzester Zeit die Freude verlieren.

Der Multioptions-Tretmühle können wir entgehen, indem wir unseren Konsum auf weniger Produkte beschränken.

Der Zeitspar-Tretmühle können wir entkommen, indem wir lernen, unsere Freizeit zu genießen, statt immer wieder Geld für neue zeitsparende Lösungen auszugeben.

 

Wenn du dich einmal ausführlich mit der Frage beschäftigen möchtest, was wirklich glücklich macht und was nicht, dann kann ich dir mein Buch “Übers Glück – Orientierungshilfen für ein glückliches Leben” wärmstens empfehlen: link: https://www.psychointegration.de/produkt/uebers-glueck-orientierungshilfen-fuer-ein-glueckliches-leben-2/

 

Quelle: Binswanger, M. (2006): „Die Tretmühlen des Glücks.“ Verlag Herder GmbH, Freiburg.