Wie wir alle wissen, können Paarbeziehungen sowohl zu den schönsten, aber auch zu den schlimmsten Erfahrungen werden, die wir als Menschen machen können. Eine Paarbeziehung kann uns unsere tiefsten Sehnsüchte erfüllen, aber leider auch zu einem wahren Albtraum werden.
Eines ist dabei jedoch völlig sicher. Ob es uns nun gefällt oder nicht, es gibt keine längerfristige Beziehung ohne Reibungen und Konflikte. Dies kann ziemlich ernüchternd sein, wenn wir mit der Hoffnung in Beziehungen hineingehen, dass uns diese glücklich machen werden. Wenn wir dagegen die Hypothese zulassen, dass Liebesbeziehungen nicht dazu da sind, um uns glücklich zu machen, sondern dafür, uns Entwicklungsanreize zu liefern, dann wird sich die Realität nicht ganz so schmerzhaft für uns anfühlen. Trotzdem ist es sehr hilfreich zu verstehen, was in unserer Partnerschaft passiert. Denn dann ist es leichter, Lösungen zu finden.
In diesem Artikel geht es um eines der unvermeidlichen Probleme, denen jedes Paar früher oder später gegenübersteht: das sogenannte „Drei/zwei–Sieben/eins Problem“.
Das 3/2–7/1 Problem kann in allen Bereichen und Situationen auftauchen, in denen es auf ein Miteinander ankommt bzw. bei allem, was ein Partner nicht allein erledigen kann oder will. Dies können z.B. die Haushaltsführung sein, die Erziehung der Kinder, gemeinsam verbrachte Freizeit, Momente der Nähe oder Zärtlichkeit, Gespräche oder der besonders empfindliche Bereich der Sexualität.
Der Ausgangspunkt des 3/2-7/1 Problems ist nun der, dass es in jedem dieser Bereiche einen Partner gibt, der diesbezüglich weniger Verlangen hat, bzw. dem dieser Bereich weniger wichtig ist als dem anderen. Für das 3/2–7/1 Problem ist es aber nicht notwendig, dass die Partner dabei völlig entgegengesetzte Interessen haben. Vielmehr können ihre Bedürfnisse durchaus ähnlich sein. Aber eben nur ähnlich und nicht gleich.
Beispiel 1: Bedürfnis nach aufgeräumter Wohnung
Nehmen wir zur Veranschaulichung einmal ein Pärchen mit den Namen Susi und Peter. Nehmen wir zudem an, dass Peter ein geringeres Bedürfnis nach einer aufgeräumten Wohnung hat als Susi.
So reagiert Peter im Durchschnitt erst nach 3 Tagen, in denen nichts aufgeräumt wird, mit Unzufriedenheit und beginnt den Impuls zu spüren, in der Wohnung Ordnung zu schaffen. Susi dagegen kriegt schon nach ca. 2 Tagen die Krise und fängt mit der Aufräumarbeit an.
Am Anfang der Beziehung stören sich die beiden nicht weiter an diesem kleinen Unterschied. Früher oder später gewinnt Susi aber den Eindruck, dass die Aufräumarbeit immer an ihr hängen bleibt, während Peter nur sehr selten von alleine aufzuräumen beginnt. Dies ist auch kein Wunder, da Susi sich einfach immer schon etwas früher über die allgemeine Unordnung in der Wohnung zu stören beginnt als Peter. Außerdem hat sie zu Beginn der Beziehung die Aufräumarbeit auch gerne übernommen und Peter konnte sich diesbezüglich zurücklehnen.
Susi beginnt nun also, Peter auf seine mangelnde Mithilfe aufmerksam zu machen und fordert ihn auf, ihr beim Aufräumen zu helfen.
Anfangs macht Peter das vielleicht auch gerne. Da er jedoch eine höhere Toleranzschwelle gegenüber Unordnung hat, kommt er von allein meist gar nicht auf die Idee, aufzuräumen, wenn Susi bereits von der Unordnung gestresst ist. Sie macht ihm also immer öfter Vorwürfe, dass er von alleine überhaupt nichts in der Wohnung macht und dass das Aufräumen immer an ihr hängen bleibt. Sie beginnt nun auch damit, ihn so darzustellen, als wäre er ein echter Saubär und hätte keinerlei Interesse an einem gemütlichen und wohnlichen Aussehen der gemeinsamen Wohnung. Dadurch fühlt sich Peter aber zu Unrecht verurteilt und unnötig von Susi unter Druck gesetzt, die er nun seinerseits als Sauberkeitsfanatikerin zu titulieren beginnt.
Susi hat nun das Gefühl, dass Peter so gut wie nie beim Aufräumen hilft und sich verhält wie ein unreifer Teenager. Und Peter hat den Eindruck, dass sich zuhause irgendwie alles ständig nur ums Aufräumen dreht und er ständig aufräumen muss.
So ist aus dem Verhältnis des Aufräumbedürfnisses von 3 zu 2 ein wahrgenommenes Ungleichgewicht von 7 zu 1 geworden, was so jedoch nicht stimmt.
Beispiel 2: Lust auf Sex
Nehmen wir ein zweites sehr anschauliches Beispiel aus dem Film „Der Stadtneurotiker“, bei dem es um den Bereich der Sexualität geht.
Im „Stadtneurotiker“ spielen Woody Allen und Diane Keaton ein Pärchen, das mit allerlei Beziehungsproblemen zu kämpfen hat. In einer Szene sieht man, wie die beiden gleichzeitig Sitzungen bei ihren jeweiligen Psychiatern wahrnehmen.
Dabei wird Woody Allen von seinem Psychiater gefragt: „Wie oft schlafen Sie miteinander?“ Seine Antwort: „Eigentlich kaum, – vielleicht dreimal pro Woche. Erst gestern, da wollte sie auch wieder nicht mit mir schlafen.“
Gleichzeitig an einem anderen Ort wird Diane Keaton von ihrer Psychiaterin während ihrer Sitzung gefragt: „Haben Sie eigentlich Verkehr?“ Ihre Antwort: „Ständig, – dreimal in der Woche ungefähr. Gestern wollte er auch schon wieder mit mir schlafen.“
Beide geben die gleiche Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs an (3mal), schildern ihr jeweiliges Gefühl dazu völlig unterschiedlich: er mit „eigentlich kaum“ (=1mal) und sie mit „ständig“ (=7mal).
Was im Film recht humorvoll rüberkommt, ist im realen Leben natürlich weit weniger lustig und angenehm. Schließlich leiden beide Partner unter einer solchen Situation. Der Partner mit dem geringeren Verlangen fühlt sich ständig unter Druck gesetzt und der andere fühlt sich zurückgewiesen. Dass daraus vielerlei Dramen entstehen können, dürfte einem jeden klar sein.
Aspekte des 3/2-7/1-Problems
Nun gibt es im Zusammenhang mit dem 3/2-7/1-Problem einiges zu verstehen:
- In einem System, in dem Gewalt tabu ist, hat automatisch immer der Partner mit dem geringeren Verlangen die Kontrolle über diesen Bereich. Und zwar unabhängig davon, ob er das weiß oder will. Denn was kannst du schon tun, wenn dein Partner sich hartnäckig weigert, deine Erwartungen zu erfüllen?
- Es ist immer der Partner mit dem schwächeren Verlangen, der darüber entscheidet, ob die Bemühungen in einem Bereich fair verteilt und partnerschaftlich erledigt werden bzw. ob das Ergebnis der Bemühungen positiv ausfällt.
- Und wenn es wie im „Stadtneurotiker“ um Sex geht, kontrolliert darüber hinaus auch immer der Partner mit dem schwächeren Verlangen dem anderen sein Gefühl, begehrenswert zu sein.
Bleiben wir nun einmal beim Thema „Sexualität“. Auch hier gibt es einige Dinge zu wissen.
- Sowohl das starke sexuelle Verlangen als auch die intensive Verliebtheit, die im Idealfall zu Beginn einer Liebesbeziehung erlebt werden, können nur von kurzer Dauer sein. Der Grund dafür liegt darin, dass die Bindungshormone Oxytocin und Vasopressin jene Hormone unterdrücken, die für Wollust und Verliebtheit verantwortlich sind. Sobald man sich also aneinanderbindet und gewöhnt, verschwindet die anfängliche Verliebtheit und das starke sexuelle Verlangen der ersten Zeit kehrt auf das vorige Normalniveau der Partner zurück.
- Probleme, die das sexuelle Verlangen betreffen, sind in einer Partnerschaft unvermeidbar und normal. Schließlich gibt es immer einen Partner mit stärkerem und einen mit schwächerem Verlangen.
- Probleme mit dem sexuellen Verlangen sind ein fester Bestandteil der mittleren Phase jeder dauerhaften Beziehung. Sie sind typisch für einen bestimmten Entwicklungsabschnitt von Liebesbeziehungen. Es handelt sich dabei um normale Erscheinungen im Lebenszyklus einer Beziehung, auch wenn sie als schmerzhaft, herzzerreißend, beängstigend und demoralisierend erlebt werden.
Wie oben bereits erwähnt, kann es aber nicht nur im Bereich der Sexualität zu einem 3/2-7/1-Problem kommen. Vielmehr gibt es in fast jeder Beziehung mehrere Bereiche und Themen, die dem einen Partner wichtiger sind als dem anderen. Und in jedem davon kann es zu der eben beschriebenen Dynamik der Polarisierung kommen. Hat die Polarisierung dann erst einmal stattgefunden, ist dies für beide Partner sehr belastend und kann zu vielerlei Beziehungsdramen führen.
Zum Glück gibt es aber auch Hinweise darauf, wie wir erfolgreich mit derartigen Problemen umgehen und unsere Beziehungen dadurch sogar noch verbessern können.
Wie das geht, darüber werde ich in einem extra Artikel schreiben.
Quelle: Schnarch, D. (2006): „Die Psychologie sexueller Leidenschaft“. Stuttgart, Klett-Cotta