Die Primes: die individuelle Färbung unseres Leidens an der Dualität

Ich habe bereits an früherer Stelle in diesem Blog über die sogenannten Primes (auch primordiale Polarität, uranfängliche Polarität, Ursprungs-Polarität oder persönlicher Code genannt) geschrieben.

(Hier der link: Die primordiale Polarität – ihre Bedeutung und Integration)

In diesem Artikel möchte ich das Konzept, das hinter dieser Ursprungs-Polarität steht, noch etwas genauer beleuchten. Schließlich wollen wir alle glücklich werden, aber wir machen alle die Erfahrung, dass uns irgendetwas davon abhält. Und die Idee hinter den Primes besagt, dass die Primes in der Hierarchie der Ursachen für unser Leiden sehr weit oben stehen.

Gehen wir aber erst einmal auf die letztendliche Ursache allen menschlichen Leidens ein.

Diese ist laut dem Buddha die sogenannte „Unwissenheit“. Unsere Unwissenheit besteht dabei darin, dass wir uns vollkommen mit unserem Körper-Psyche-Komplex identifizieren. Dies bedeutet, dass wir völlig selbstverständlich davon ausgehen, dass wir vom Rest der Welt getrennte Wesen sind und dass unsere Grenzen die Grenzen des Körpers sind. Dadurch wird die Tatsache vor uns verschleiert, dass die Essenz unseres Seins die gleiche ist wie die Essenz des gesamten Universums. Und diese ist zeitlos und raumlos und somit jenseits aller Grenzen.

Viele Menschen stolpern zwar früher oder später über die Erkenntnis, dass es mit ihrem üblichen Selbst- und Weltbild nicht besonders weit her ist, – was wohl am häufigsten geschieht, wenn sie mit Entheogenen in Kontakt kommen. Die meisten ziehen aus derartigen Erfahrungen jedoch Schlussfolgerungen, die sie diese Spur nicht ernsthaft weiterverfolgen lassen. Und  so sind sie schon bald wieder in ihrer vertrauten Alltagshypnose gefangen.

Letztlich ist die von Buddha beschriebene Unwissenheit tatsächlich die Quelle unseres Leidens, und zwar diejenige, die uns alle betrifft. Dadurch, dass wir uns mit dem begrenzten Körper-Psyche-Komplex identifizieren, erleben wir nämlich automatisch die Angst vor dem Tod. Und wir fühlen uns automatisch einer Welt gegenüber, die zu einer Hälfte attraktiv und begehrenswert erscheint und zur anderen Hälfte unangenehm, schmerzvoll und beängstigend.

Um unsere Angst vor dem Tod und der schmerzvollen Hälfte des Lebens abzuwehren, versuchen wir dann, unsere Begrenzungen durch die Aneignung von glückverheißenden Objekten, Fertigkeiten, Beziehungen, Wissen und Erfahrungen zu überschreiten. So können wir wenigstens vorübergehend ein relatives Gefühl der (Leidens-) Freiheit erlangen. Leider lauert die schmerzhafte Seite des Lebens jedoch überall auf uns und spätestens in der zweiten Lebenshälfte wird uns bewusst, dass wir weder dem Alterungsprozess noch dem Tod entkommen werden.

Alles was ich bis zu diesem Punkt beschrieben habe, sind Komponenten des menschlichen Leidens, die wir alle gleichermaßen miteinander teilen.

Dann gibt es da aber noch eine individuelle Komponente, die es uns zusätzlich erschwert, von der Unwissenheit frei werden zu können. Und diese individuelle Komponente ist durch die jeweiligen „Primes“ einer Person charakterisiert.

„Primes“ ist dabei das englische Wort für unsere Ursprungs-Polarität und deutet darauf hin, dass dieser Polarität eine primäre Rolle in unserem Leben zukommt. In gnostischen Kreisen wird dafür auch manchmal die Bezeichnung „Persönlicher Code“ verwendet, was eine Parallele zu einem Passwort oder einer Zahlenkombination herstellt, durch die man Zugang zu etwas Wertvollem erhält. Die Primes halten also etwas verschlossen, was geöffnet werden könnte.

Das Öffnen geschieht jedoch nicht durch intellektuelles Wissen, sondern dadurch, dass man die Primes erst einmal bewusst macht und dann integriert. Erst durch die Integration verlieren sie ihre Macht über uns.

Die Primes sind somit schlicht und ergreifend jene Polarität bzw. jenes Gegensatzpaar, das uns im Leben die größten Schwierigkeiten bereitet und sozusagen unser Grund-Lebensthema darstellt. Grund-Lebensthema deshalb, weil wir uns zwanghaft zwischen den Polen dieser primordialen Polarität hin und her gerissen fühlen.

Die Primes bilden dabei das energetische Tor, durch das Atman (das noch nicht manifestierte Potenzial allen Seins) in die Dualität eingetreten ist. Dass wir irgendwann irgendwie in die Dualität eingetreten sind, ist dabei selbstevident, da wir uns jetzt gerade ja schließlich alle sicher sind, dass wir uns in einer dualen Welt befinden, in der alles in der Form von Gegensätzen existiert. Und irgendwie und irgendwann müssen wir ja in diese Dualität eingetreten sein. In diesem Prozess, bei dem Atman in die Dualität eintrat und sich dabei scheinbar selbst als Person begrenzte, kommen die Primes ins Spiel.

Der Impuls, durch den Atman zum Individuum wird, ist nämlich individuell gefärbt. Atman möchte in jedem Individuum sozusagen eine einzigartige Erfahrung machen. Diese Erfahrung, die durch einen Ursprung aus der Einheit in die Dualität führt, ist durch den Wunsch nach dem positiven Pol einer Polarität gekennzeichnet. Dieser positive Pol, der ja eine erstrebte Erfahrung darstellt, könnte z.B. Liebe sein, Freude, Erfolg, Seligkeit, Kreativität, Licht, Freiheit oder was auch immer. Im gleichen Moment, in dem diese positive Erfahrung jedoch bestimmt wird, taucht auch automatisch ein dazugehöriger Gegenpol auf, der den Kontrast dazu bildet. Um bei Liebe zu bleiben, könnte dies z.B. Lieblosigkeit sein, Gleichgültigkeit, Verachtung oder ähnliches.

Es taucht also eine erste Polarisierung auf, ein Ur-Yin-Yang, eine Ursprungs-Polarität, die dadurch gekennzeichnet ist, dass uns der eine Pol davon als begehrenswert erscheint und der andere als vermeidenswert. Aus dieser Dynamik des Begehrens und Nicht-Wollens entstehen in der Folge dann die Dramen des Lebens. Denn, um bei dem Beispiel der Suche nach Liebe zu bleiben, folgt daraus ja auch die Bevorzugung anderer Eigenschaften, die die Chance auf Liebe erhöhen. Wer Liebe möchte, bevorzugt z.B. automatisch Nähe oder zumindest Gesellschaft, denn ohne diese wird es für ihn schwer werden, Liebe zu finden. Gleichzeitig lehnt er aber automatisch auch bestimmte Umstände ab, wie z.B. Alleinsein oder Einsamkeit.

Nehmen wir an, die Primes einer Person bestehen aus der Polarität „Liebe versus Verachtung“. Dann wird diese Person einen sehr starken inneren Drang nach einer erfüllenden Liebesbeziehung in sich tragen und das Thema “Liebe” idealisieren. Leider wird sie aber auch einen Drang danach haben, Verachtung zu erfahren, was ihr allerdings nicht bewusst ist. Die Person wird also mit der Überzeugung ins Leben starten, dass sie sich vollständig und in der Welt geborgen fühlen wird, wenn sie die wahre Liebe findet. Also wird sie sich auf die Suche nach ihrem Seelenpartner bzw. ihrer Seelenpartnerin begeben. Dabei kann natürlich so manches schief gehen. Es kann sein, dass sie immer wieder an die falschen Partner gerät und somit wiederholten Enttäuschungen ausgesetzt ist. Oder, dass sie lange auf den richtigen Partner warten muss, was natürlich ebenfalls nicht sehr angenehm ist. Die Suche nach der perfekten Liebe trägt also bereits ein großes Potenzial für leidvolle Erfahrungen in sich.

Aber selbst wenn sie ihr Ziel erreicht und den Traumpartner bzw. die Traumpartnerin findet, ist ihr Glück nicht von Dauer. Denn erstens kann sie wieder verlieren, was sie gefunden hat. Und zweitens macht sich schon bald der Sog ihrer Primes bemerkbar. Und da der Pol der Liebe bereits erfüllt ist, schwingt das Pendel nun in die Gegenrichtung, hin zum Gegenpol ihrer Primes, nämlich zur Verachtung. So wird es leider nicht allzu lange dauern und unsere Person wird sich in ihrer Beziehung so verhalten, dass das Thema der “Verachtung” darin Einzug findet. Die anfängliche große Liebe wird somit durch ein zunehmendes Gefühl der Verachtung abgelöst, das einer der beiden Partner gegenüber dem anderen entwickelt. Dadurch entsteht erneutes Leid, das möglicherweise auch mit vielen Konflikten und Tränen einhergeht.

Hat sich schließlich ein hohes Maß an Verachtung eingestellt, ist nun der Gegenpol der Primes erfüllt, so dass sich das Blatt wieder wendet und unsere Person erneut eine starke Sehnsucht nach einem neuen Liebesobjekt entwickelt.

Auf diese Weise dreht sich das Rad des Samsara immer weiter und unsere Beispielperson wird tendenziell immer desillusionierter und entmutigter. Und genau wie ihr ergeht es uns allen, mit dem Unterschied, dass uns höchst wahrscheinlich andere Primes in die Entmutigung treiben.

Zum Glück ist es aber möglich, die Macht der Primes zu durchbrechen, indem wir sie uns bewusst machen und sie integrieren. Dadurch wird viel Energie freigesetzt, die in unserem zwanghaften Versuch gebunden war, nur den positiven Pol unserer Primes zu erlangen bzw. die beiden Pole unserer Primes unter einen Hut zu bekommen.

Diese Energie steht uns dann für unseren Alltag zur Verfügung und für die Bearbeitung und Integration all der Folgeprobleme, die wir uns durch unsere Primes eingehandelt haben. Außerdem sind wir nun um ein gutes Stück weniger reaktiv, was es uns deutlich erleichtert, die Natur unserer Erfahrung zu erforschen, Dies wiederum ist ein sehr guter Weg, um unsere “Unwissenheit” zu beseitigen, unsere wahre Identität als Gewahrsein wiederzuentdecken und dadurch frei zu werden von der Abhängigkeit von Objekten, – dem letztendlichen Ziel aller spirituellen Bemühungen.