Der Fluch der Gewöhnung

Eines der größten Hindernisse auf unserem Weg zum Glück ist das Phänomen der Gewöhnung bzw. Habituation. Dies mag auf den ersten Blick vielleicht erstaunlich klingen, da die Gewöhnung schließlich eine unbewusste Form des Lernens darstellt, die viele Vorteile für uns hat. Ohne Gewöhnung würden wir uns schließlich ständig in einer Art „Hab Acht Stellung“ befinden. Zudem würden uns alltägliche Handlungen, wie z.B. das Autofahren oder die Bedienung unserer Smartphones, jedes Mal aufs Neue volle Aufmerksamkeit und Konzentration abverlangen. Gäbe es die Habituation nicht, wären unsere Leben somit sehr viel anstrengender.

Leider hat das Ganze aber auch eine unangenehme Kehrseite. So führt die Gewöhnung nur allzu leicht dazu, dass selbst die schönsten Dinge, Lebensumstände und Personen ihren Reiz für uns verlieren und wir sie schon bald für selbstverständlich halten. Dies ist jedoch blankes Gift für unsere Lebenszufriedenheit und unser Glückserleben.

Gewöhnung setzt ein, wenn wir wiederholt dem gleichen Reiz ausgesetzt sind. Wir reagieren dann immer schwächer auf diesen Reiz, in manchen Fällen schließlich gar nicht mehr.

Bei störenden oder unangenehmen Reizen ist das ja auch sehr praktisch.

So habe ich z.B. einige Jahre in einem Haus gewohnt, das direkt neben einer S-Bahn Trasse stand. Alle paar Minuten fuhr deshalb eine S-Bahn oder ein Zug in weniger als 20 Meter Entfernung an mir vorbei. Als ich dort einzog, nahm ich noch jeden einzelnen Zug wahr und fand den Lärm dabei sehr störend und unangenehm. Doch schon nach kurzem nahm ich die Züge überhaupt nicht mehr wahr. Nur wenn ich mit jemandem telefonierte oder wenn ich länger nicht zuhause war und dann zurückkam, bemerkte ich die Lautstärke der Fahrgeräusche wieder deutlich.

Leider wirkt die Gewöhnung aber auch im Fall von schönen und begehrenswerten Reizen.

Nehmen wir zum Beispiel eine dekorative bronzene Buddha Figur, die bei mir im Regal steht. Als ich diese zum ersten Mal sah, war ich von ihr fasziniert und betrachtete sie immer wieder mit Freude. Schon bald jedoch nahm ich sie praktisch nicht mehr wahr. Wenn mein Blick jetzt mal kurz auf sie fällt, spüre ich keine innere Reaktion mehr, da ich sie ja bereits kenne. Ich habe mich also an ihren Anblick und Besitz gewöhnt. Diese Gewöhnung hält leider auch dann noch an, wenn ich die Buddha Figur längere Zeit nicht sehe. Selbst nach einigen Wochen Urlaub ist meine Reaktion auf sie im Vergleich zum ersten Anblick deutlich schwächer.

Wenn wir nun an all die wunderbaren Dinge, Umstände und Personen denken, deren Gegenwart uns anfangs zutiefst begeistert und beglückt haben und die wir nun für selbstverständlich halten, dann ist dies für unser Glückserleben geradezu tragisch. Praktisch betrachtet heißt das nämlich, dass wir das Gute, Schöne und Wunderbare in unserem Leben kaum noch wahrnehmen, während die Ärgernisse des Alltags unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Folge ist, dass das Negative viel mehr Raum in unserer Wahrnehmung erhält als das Positive und wir uns weitaus weniger glücklich fühlen als wir eigentlich könnten.

Wenn wir glücklich werden wollen, müssen wir also Wege finden, wie wir die negativen Begleiterscheinungen der Gewöhnung neutralisieren können. Dies geschieht durch den Prozess der Sensitivierung bzw. durch Achtsamkeit.

Wir müssen wieder lernen, all jene Freudenquellen bewusst wahrzunehmen und wertzuschätzen, die uns jeden Tag zur Verfügung stehen und die wir im Moment noch für selbstverständlich halten.

Dies geschieht am effektivsten durch Achtsamkeitsübungen jeglicher Art und durch die Entwicklung von Dankbarkeit.